Florence Knoll brachte die Moderne in die Wohnzimmer – und mit ihrer Firma Knoll International in die Welt. Am 25. Januar 2019 ist die Architektin, Designerin und Unternehmerin im Alter von 101 Jahren gestorben.
Die Gemälde sind abstrakt, die Möbel modern, die Geschlechterrollen steinzeitlich. Jeder, der den Aufstieg von Peggy Olson in der TV-Serie „Mad Men“ verfolgt hat, kann sich die Situation von Frauen in der amerikanischen Nachkriegsära vorstellen, als die gesamte Arbeitswelt einem testosterongesteuerten Kampfplatz glich. Zu den Insignien dieser Männerarena gehören im Manhattan der 1950er graue Flanellanzüge wie auch Marcel Breuers Kaffeetische oder Saarinens Executive Armchairs. Macht, das bedeutet nicht mehr der klobige Schreibtisch, sondern Geradlinigkeit, Funktionalität, Transparenz – die Ideen des Bauhauses sind in Corporate America angekommen.
Am 24. Mai 1917 wurde Florence Knoll (Bild von 1948) geboren, „Totales Interieur, totaler Raum“, war ihre Devise. (Foto: Courtesy of Knoll)
Erstaunlicherweise ist es kein Bauhaus-Meister, der im Kalten Krieg den kühlen „Mad Men“-Chic von Vorstandsetagen, diplomatischen Vertretungen oder Firmen-Lobbys ersinnt. Es ist eine Frau. „Good Design is Good Business“, lautet einer der Leitsätze von Florence Knoll Und die intelligente, unaufgeregte Eleganz, die ihre Interiors prägt, zeichnet sie auch als Person aus. „Florence ziert jede Party“, ist 1934 im Jahrbuch der Kingswood Mädchenschule in Michigan zu lesen.
Florence Schust stammt aus einer vermögenden Großbäckerei-Dynastie. Schon von klein auf will sie Architektin werden. Als ihre Eltern sterben, ist sie zwölf, und ihr Vormund schickt sie nach Kingswood, weil die Schule an die Cranbrook Academy of Art angeschlossen ist. Der Akademie-Direktor, der Architekt Eliel Saarinen, wird auf das begabte Mädchen aufmerksam. Die Saarinens werden zu ihrer Ersatzfamilie, ziehen sie zusammen mit ihrem Sohn Eero auf, gemeinsam verbringen sie die Sommer in deren Haus bei Helsinki, wo auch Mahler und Sibelius verkehrten.
„Das Wichtigste, was Mies mir beibrachte, war, Ideen zu verdeutlichen, Dinge bis auf das bloße Skelett herunterzubrechen und nur mit der reinsten Form von Design zu arbeiten.“
Florence Knoll
Hier lernt Schust 1936 Alvar Aalto kennen, der ihr rät, in London bei der von Le Corbousiers Ideen geprägten Architectural Association zu studieren. Der Zweite Weltkrieg bricht aus. „Ich rief Marcel Breuer an“, schreibt Knoll einmal, „und wurde von Gropius und Breuer in Cambridge angenommen, um dann meine Ausbildung am Illinois Institute of Technology zu beenden.“ Dort ist Mies van der Rohe ihr Lehrer. Sein Denken wird ihre gesamte Laufbahn prägen: „Das Wichtigste, was Mies mir beibrachte, war, Ideen zu verdeutlichen, Dinge bis auf das bloße Skelett herunterzubrechen und nur mit der reinsten Form von Design zu arbeiten.“ Als Florence 1943 in New York auf den jungen, deutschstämmigen Möbelhersteller Hans Knoll trifft, der modernes Design auch in Amerika marktfähig machen will, begegnet sie ihrem Traumpartner. Gemeinsam können sie eine Vision verwirklichen: „totales Interieur, totaler Raum“.
Knoll wird ihr erster und einziger Chef. Als sie ihn 1946 heiratet, ist sie bereits beruflich seine Partnerin. Florence investiert 50.000 Dollar in die Firma und löst mit der Knoll Planning Unit eine Revolution aus. Bis dahin haben Innenarchitekten Möbel bestellt und ihre Ideen als Tatsachen präsentiert. Knoll bindet ihre Firmenkunden mit einem Zwölf-Punkte-Plan ein, fragt nach spezifischen Bedürfnissen. Sie präsentiert Modelle und klebt auf ihre Raumentwürfe Muster für Möbel oder Vorhänge, sodass man ein Gefühl für Farbe und Material bekommt. Die Strategie geht auf. Bald zählen IBM, General Motors und CBS zu Knolls Großkunden, Knoll stattet Ministerien und diplomatische Vertretungen aus.
„Ich weise Aufträge zurück, bei deren Erfüllung ich gegen meinen Geschmack verstoßen müsste.“
Florence Knoll
Das Konzept ist verblüffend einfach. Während die Firma „Signature-Stücke“ von prominenten Architekten und Designern anbietet, komplettiert Florence mit eigenen, zurückhaltenderen Möbelentwürfen das Gesamterlebnis. Zu den berühmtesten für die Firma Knoll ausgeführten Entwürfen gehören der „Womb Chair“ (1946) oder der einbeinige „Tulip Chair“ (1955–56) von Eero Saarinen, der legendäre „Barcelona Chair“ von Mies van der Rohe (1947) und die Drahtstuhl-Kollektion von Harry Bertoia (1952).Ihre eigenen Stücke bezeichnet Knoll als „Fleisch und Kartoffeln“, als Füllstoff. Doch schon „Modell 44“, der Sessel ohne Armlehne, den sie 1946 für Nelson Rockefeller, einen ihrer ersten Unit-Kunden entwirft, zeigt die sinnliche Raffinesse, die hinter ihrer sachlichen Zurückhaltung steckt.
Deutlich wird diese Seite in den Showrooms, die sie mit Unterstützung des Grafikers Herbert Matter in New York, Dallas und San Francisco einrichtet. Knoll zeigt den Kunden, wie man mit den Möbeln lebt, und inszeniert sie mit Matters Fadenstrukturen und Wandgrafiken wie Bühnenbilder aus avantgardistischen Theaterstücken. Als die Firma 1951 einen Showroom in Paris eröffnet – wie immer im Ausland unter dem Namen Knoll International –, sind die Passanten irritiert. Weil Blumen im Möbelarrangement stehen, halten sie Knoll für einen Floristen.
„Ich bin keine Dekorateurin. Der einzige Ort, den ich schmücke, ist meine Wohnung.“
Florence Knoll
Florence erfindet nicht nur die Möbelpräsentation neu, sondern auch die Materialien zur Herstellung. Während Brokat und Chintz en vogue sind, dienen ihr ganz andere Stoffe als Bezüge: die schottischen Tweeds, grauen und beigen Flanellstoffe, die sie als Studentin bei den Schneidern auf der Savile Row gesehen hatte. 1947 eröffnet die Firma Knoll ihr textile department. Mit der Designerin Eszter Haraszty arbeitet Knoll an strapazierfähigen Stoffen und nutzt dabei synthetics, die für das Militär hergestellt werden. Ein Klassiker ist das unverwüstliche „Transportation Cloth“ (1949), das später für Autositze benutzt wird. Als ihr Mann 1955 auf Kuba mit dem Auto verunglückt, übernimmt Florence die Firmengeschäfte. Doch nur für wenige Jahre. 1957 richtet sie die Southeast Bank of Florida ein und lernt deren Direktor Harry Hood Bassett kennen. Sie heiraten 1958, die Geschäftsführung gibt sie 1960 ab, bis 1965 berät sie die Firma weiter. Danach zieht sie sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Was bleibt, ist die Legende Knoll. Aber nur wenige wissen um die Pionierleistung von Florence Knoll, die am 24. Mai 2017 in Florida ihren 100. Geburtstag feierte. Sie prägte den Geschmack der Nachkriegsmoderne, mit untrüglichem Gespür beauftragte sie Designer, erfand neue Produktions-, Vertriebs- und Marketingformen. Knoll war Künstlerin und Unternehmerin. Von der Postmoderne hielt sie nichts. „Natürlich werden die besseren Designs der Vergangenheit immer weitergeführt“, sagte sie 1983. „Bei Knoll ist das grundlegende Mobiliar immer noch im Programm.“
Am 25. Januar ist Florence Knoll in Florida gestorben, sie wurde 101 Jahre alt.
KNOLL INTERNATIONAL
Im Jahr 1938 in New York gegründet, zählt Knoll International dank seiner inspirierenden, fortschrittlichen und zeitlosen Produkte zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich Wohn- und Büroeinrichtungen.
Die Kollektion von Knoll umfasst Möbelstücke, die von Franco Albini, Don Albinson, Gae Aulenti, Enrico Baleri, Harry Bertoia, Achille Castiglioni, Frank Gehry, Alexander Girard, Trix & Robert Haussmann, Piero Lissoni, Ross Lovegrove, Lucia Mercer, Charles Pfister, Warren Platner, Charles Pollock, Jens Risom, Richard Sapper, Richard Schultz, Massimo & Lella Vignelli und Sottsass Associati entworfen wurden, bis hin zu jüngeren Beiträgen von David Adjaye und Barber & Osgerby.